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Im Bordstromsystem von Wohnmobilen steigen immer mehr Nutzer von klassischen Bleiakkus auf LiFePO₄-Batterien um. Ein häufiges Feedback aus der Praxis lautet jedoch: Die Batterie scheint nie ganz voll zu werden. Dieses Verhalten ist im Wohnmobil-Umfeld besonders verbreitet und bedeutet nicht automatisch einen Defekt. Häufig sind Systemarchitektur, Ladestrategie und Messmethodik die wahren Ursachen. Dieser Beitrag analysiert das Thema aus ingenieurtechnischer Sicht und liefert prüfbare, umsetzbare Diagnose- und Optimierungsansätze.
„Nicht voll geladen“ – was heißt das technisch?
Ohne präzise Einordnung werden unterschiedliche Probleme leicht vermischt. In der Praxis treten vor allem drei Erscheinungsbilder auf:
Erscheinungsbilder und Zuordnung
| Erscheinung | Mess-/Beobachtungskriterium | Primäre Prüfrichtung |
|---|---|---|
| SOC-Anzeige erreicht Nennwert nicht | Batteriespannung am Ende erreicht Soll-Absorptionsspannung, Ladestrom fällt stark ab oder nahe null, SOC bleibt bei 90–98 % | SOC-Modellabweichung, unkalibrierter Shunt, Parallelverbrauch verfälscht Stromintegration |
| Ladevorgang endet zu früh | Spannung erreicht kurz die Sollwerte, Absorptionsphase läuft nicht ausreichend oder bricht ab | Ladegerät-/Regler-Parameter nicht passend, Absorptionszeit zu kurz, instabile Quellspannung |
| Tatsächliche nutzbare Kapazität unter Erwartung | Deutlich kürzere Laufzeit als berechnet | Tatsächliche Last höher, Inverterverluste, Temperatur-/C-Rate-Einfluss auf entnehmbare Kapazität |
| Batteriespannung erreicht Soll nicht | Am Ladegerät ok, am Batteriepol messbar niedriger | Leitungsfall, zu geringer Querschnitt, Übergangswiderstände an Sicherungen/Klemmen |
| Häufiges Start/Stop nahe voll | App/BMS protokolliert Zellspannung-/Temperatur-Limits | BMS-Schutz, Zellabweichungen, Temperaturgrenzen nicht erfüllt |
| Parallelbank lädt „insgesamt“ schlecht | Einzelne Packs greifen früher ein, Gesamtladung stoppt | Uneinheitliche Kapazität/Innenwiderstand/Alterung zwischen Packs |
Ladegeräte-Parameter und LiFePO₄-Eigenschaften: häufige Mismatchs
1) Landstrom-Ladegerät (AC-DC) – geerbte Blei-Profile
- Absorptionszeit zu kurz: LiFePO₄ benötigt zum „Auffüllen“ im oberen SOC-Bereich stabile Spannung + genügend Zeit. Endet die Absorption zu früh, fehlt echte Volladung.
- Vorzeitiges „Voll“-Kriterium über Stromabfall: Viele Blei-Lader beenden bei bestimmtem Stromkriterium – für LiFePO₄ oft zu aggressiv.
- Niedrige Float-Spannung: Zu konservative Float-Werte halten das Niveau unterhalb der effektiven Ausgleichsschwelle.
2) Lichtmaschine & DC-DC – variable Quellspannung
- Intelligente Generatoren: Energiesparstrategien senken die Spannung dynamisch.
- Ohne DC-DC-Lader: Batterie sieht selten eine konstante Absorptionsspannung – Ergebnis: dauerhaft „fast voll“ statt „wirklich voll“.
- Falsche DC-DC-Parameter: Nicht auf LiFePO₄ abgestimmt → Absorption bricht zu früh ab.
3) Solarladeregler – MPPT/PWM im realen Tagesprofil
- Konservative Setpoints: Zu niedrige Absorptionsspannung/-dauer.
- Gleichzeitige Tageslasten: Netto-Ladestrom zu klein, Absorptionsphase wird nie „gesehen“.
- Wechselnde Einstrahlung: Absorption wird wiederholt unterbrochen; große Kapazitäten sind per PV-„Schwimmer“ schwer vollzubekommen.
Leitungsfall & Einbau: warum am Batteriepol andere Werte ankommen
Wohnmobile haben lange Leitungswege, viele Übergänge und oft gemischte Querschnitte. Folge: Lader-Spannung ≠ Batteriepol-Spannung. Schon 0,2–0,4 V Spannungsfall unter hohem Strom reichen, um die eingestellte Absorptionsschwelle am Akku nicht zu erreichen – der Lader beendet „ordnungsgemäß“, die Batterie war aber real nie dort.
- Zu kleiner Querschnitt
- Hoher Übergangswiderstand an Sicherungshaltern/Klemmen
- Oxidierte Kontakte oder mechanisch nicht sauber verschraubt
BMS-Eingriffe nahe Volladung sind normal – so lesen Sie sie richtig
Im oberen SOC-Fenster steigt die Eingriffsfrequenz des BMS – genau dafür ist es da.
| BMS-Ereignis | Typische Auslösebedingung | Verhalten im Laden | Subjektive Wahrnehmung | Technische Einordnung |
|---|---|---|---|---|
| Einzelzell-OVP | Eine Zelle erreicht früh die OVP-Schwelle | Ladung wird begrenzt/unterbrochen | „Bei hoher Anzeige stoppt es plötzlich“ | Zellabweichung oder zu hohe Setpoints |
| Balancing-Limit | Zellendifferenz über Balancing-Schwelle | Strom sinkt stark, Zeit verlängert sich | „Es lädt sehr langsam und nie auf 100 %“ | Balancing arbeitet, Absorptionszeit nötig |
| Niedrige Temperatur | Zellentemperatur unter Charge-Limit | Laden begrenzt/gesperrt | „Im Winter lädt es nicht“ | Schutzlogik korrekt aktiv |
| Hohe Temperatur | Zellentemperatur nahe Obergrenze | Ladeleistung reduziert | „Unerwartet langsam“ | Thermisches Management greift ein |
| Schütz-„Pulsieren“ | Bedingungen kippen wiederholt | Start/Stop-Zyklen nahe voll | „Instabil nahe 100 %“ | Grenzbereich, Parameter/Umgebung prüfen |
Mehrere Batterien parallel: „Voll“ richtet sich nach dem schwächsten Glied
Beim Upgrade werden häufig mehrere Packs parallel betrieben. Unterschiede in Kapazität, Innenwiderstand oder Alterung führen dazu, dass einzelne Packs früher Schutzgrenzen erreichen und den Gesamtvorgang beenden. Das ist kein Hinweis auf eine „schlechte“ Batterie, sondern auf Inhomogenität der Bank.
Ingenieur-Leitlinien für die Beurteilung
- Primärmetriken: Spannung am Batteriepol, Stromverlauf, t der Absorptionsphase.
- Sekundär: SOC-Anzeige nur als Hilfsgröße, nicht als Beweis.
- Nah voll: BMS-Protokolle auf Schutz/Balance prüfen statt nur auf Prozentwerte zu schauen.
- Parallel: Konsistenz der Packs bewerten (Kapazität/Innenwiderstand/Alterung), nicht Einzelwerte isoliert.
Fazit: „Nicht voll“ ist meist Systemverhalten – und optimierbar
Das verbreitete Gefühl, eine LiFePO₄-Batterie werde im Wohnmobil „nie ganz voll“, entsteht aus dem Zusammenspiel von Zellchemie, BMS-Logik, Ladegeräte-Parametern und Verkabelung. In den meisten Fällen ist das ein normales Randzonen-Verhalten – kein Leistungsdefekt.
Mit sauberem Messen am Batteriepol, passenden Ladesetpoints und ausreichend Absorptionszeit, korrekter DC-DC-Konfiguration, minimierten Leitungsfällen sowie konsistenten Parallel-Packs lassen sich die Symptome erklären, validieren und nachhaltig verbessern.


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